Südamerika-Reise, Teil 2: Argentinien: Ein Land im Umbruch und ein potentieller Partner
Nach dem Besuch Uruguays führte mich der zweite Teil der Delegationsreise mit dem Wirtschaftsausschuss nach Argentinien – in ein großartiges Land, das mit vielen natürlichen Ressourcen wie fruchtbarem Boden und wichtigen Rohstoffen gesegnet ist. Gleichwohl gab es in den letzten Jahrzehnten wirtschaftlich nur eine Richtung, und zwar bergab. Sichtbarstes Zeichen hierfür ist der Wechselkurs: Noch in den späten 90er Jahren war der argentinische Peso im Verhältnis 1:1 an den US-Dollar gebunden. Heute liegt der offizielle Kurs bei knapp 1000 Peso pro US-Dollar – und der inoffizielle Wechselkurs noch weit darunter. Im Grunde ist Argentinien ein Paradebeispiel dafür, wohin schlechte Politik führen kann:
· In 113 der letzten 125 Jahre gab es Haushaltsdefizit.
· Die sozialen Wohltaten des Staates wurden immer weiter ausgeweitet, so dass zuletzt 23 von 47 Millionen Argentinier in der einen oder anderen Form finanzielle Unterstützung vom Staat erhielten.
· Und wenn das Geld für all das nicht reichte, wurde die Zentralbank genötigt, neues Geld zu drucken, oder die Devisenreserven wurden geplündert.
All das hat neben der Korruption und der weit verbreiteten „Vetternwirtschaft“ dazu geführt, dass heute mehr als 40 Prozent der Argentinier unter der Armutsgrenze leben. Die Inflation hat letztes Jahr 213 Prozent erreicht hat – ein unfassbar hoher Wert. Damit lag Argentinien in Sachen Preisstabilität weltweit auf dem letzten Platz.
„No hay plata“ in öffentlichen Kassen
Die neue argentinische Regierung unter Staatspräsident Milei ist seit nunmehr rund 80 Tagen im Amt. Auch wenn sich Milei bisweilen einer – vorsichtig formuliert – ungewöhnlichen Rhetorik bedient, versucht die neue Regierung alles, um das Ruder herumzureißen. Staatliche Preiskontrollen für Benzin, die Mieten oder den öffentlichen Personennahverkehr wurden aufgehoben, öffentliche Bedienstete wurden freigesetzt und das Haushaltsdefizit drastisch um fünf Prozentpunkte reduziert. Der Internationale Währungsfonds begrüßt diese in Teilen recht drakonischen Maßnahmen im Kern. Allerdings wird es Zeit brauchen, bevor sie wirken. Eine Stabilisierungskrise – das heißt eine längere Rezession mit hoher Arbeitslosigkeit und knappen öffentlichen Kassen – ist unausweichlich. Das Mantra des neuen Präsidenten lautet deshalb auch: „No hay plata“ – Wir haben kein Geld.
Ganz entscheidend für die Zukunft des Landes wird jetzt sein, ob die Bevölkerung bereit ist, die Reformen für einen längeren Zeitraum mitzutragen. Auch wenn es hier und da Protest gibt: Bislang ist die Unterstützung quer durch alle Bevölkerungsschichten groß. Gelingt dies allerdings nicht, sieht die Zukunft düster aus. Auf kurze Sicht ist jetzt vor allem wichtig, dass die galoppierende Inflation deutlich fällt. Ich weise schon lange an verschiedener Stellen darauf hin, aber für Argentinien gilt es dieser Tage ganz besonders: Nichts ist unsozialer als stark steigende Preise. Sie nehmen gerade Menschen mit festem Einkommen – also Arbeitern, Angestellten und Rentnern – die Kaufkraft. Und bei Inflationsraten, die so hoch sind wie in Argentinien, führt dies direkt in bitterste Armut.
Viele Felder für eine Zusammenarbeit
Was können wir von Argentinien lernen? Selbst ein (rohstoff?-)reiches Land, das Argentinien einmal war, kann in Armut fallen, wenn über Jahre und Jahrzehnte eine schlechte Politik gemacht wird. Über all das haben wir unter anderem mit Außenministerin Mondino, Staatsekretär Pazo aus dem Wirtschaftsministerium sowie Vertretern des Haushalts- und Finanzausschusses diskutiert und dabei vor allem den Blick nach vorne gerichtet. Vier Felder für eine Zusammenarbeit zwischen Argentinien und Deutschland stachen dabei hervor:
· Argentinien hat beste Bedingungen für die Produktion von Wasserstoff und Wasserstoffderivaten wie Methanol und Ammoniak, also klimafreundliche Energie, die Deutschland dringend benötigt. Land, Sonne und Wind gibt es im Überfluss.
· Das Land verfügt über große natürliche Vorkommen an Lithium und Kupfer, beides Rohstoffe, die die Transformation der Gesellschaft hin zur Klimaneutralität unerlässlich sind.
· Neben Brasilien, Uruguay und Paraguay ist Argentinien eines von vier Mercosur-Ländern. Das seit 25 Jahren verhandelte Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Ländern muss nun endlich unterzeichnet werden. Zusatzprotokolle, wir sie zuletzt von der Bundesregierung gefordert wurde, beschweren den Prozess unnötig. Denn unterschreiben wir jetzt nicht, das haben viele Gesprächspartner klar gemacht, steht China bereit, die Lücke zu füllen. Im Grunde will das weder Uruguay noch Argentinien, denn die Länder Lateinamerikas fühlen sich Europa sehr nahe. Allerdings, so wurde uns versichert, können sie auch nicht ewig warten.
· Argentinien verfügt über viele gut ausgebildete Arbeitskräfte, so dass eine Zusammenarbeit in der Wissenschaft und bei Firmenneugründungen (Startups) ebenfalls viel Sinn macht. Erfreulich war in diesem Zusammenhang, dass wir der Eröffnung des German Accelerators in Buenos Aires beigewohnt haben – ein Projekt, mit dem argentinische und deutsche Startups zusammengebracht werden sollen.
Fazit: Länder Lateinamerikas können wichtige und stabile Partner werden
Argentinien befindet sich auf einem schwierigen Weg, aber die neue Regierung implementiert makroökonomische Reformen mit aller Kraft und großem Mut. Ich hoffe sehr, dass die Bevölkerung die Reformen unterstützt, bis sie Wirkung zeigen. Deutschland kann hier eine wichtige Rolle spielenndem es Handels- und Energiepartnerschaften eingehen, die beiden Ländern nützen. Meine feste Überzeugung ist: Die Länder Lateinamerikas können ein wichtiger Partner für uns sein – gerade in der aktuell unruhigen Weltlage, mit ihren zahlreichen geopolitischen Verwerfungen. Und das könnte stabilisierende Wirkung haben, sowohl für die einzelnen Länder als auch für die Weltgemeinschaft.