Politik mit nordischer Gelassenheit: Beeindruckende Delegationsreise nach Schweden
Bei einem Besuch Mitte Juni war ich mit Mitgliedern des Umweltausschusses in Skandinavien, um mich mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft über das Thema Energiesicherheit zu beraten. Es wurde ein konstruktiver Austausch voller gewinnbringender Eindrücke – vor allem auch in Sachen politische Kultur.
Vier Tage im Juni… können manchmal den Blick aufs große Ganze entscheidend bereichern. So geschehen bei der Delegationsreise nach Schweden, auf die ich mich mit anderen Mitgliedern des Umweltausschusses begeben hatte. Inhaltlich ging es um Fragen von Energiesicherheit, speziell auch um die Endlagerung von radioaktiven Abfällen.
Wie etliche andere Länder auch nutzt nämlich Schweden die Kernenergie seit Jahrzehnten als eine zentrale Energiequelle. Hinsichtlich der Lagerung des Atommülls ist man aber schon sehr viel weiter als viele andere Staaten. Nach einem mehrere Jahrzehnte dauernden Suchprozess hat die Regierung Ende letzten Jahres die Genehmigung für den Bau eines Endlagers in der Gemeinde Forsmark erteilt. Für uns im Umweltausschuss Grund genug einmal hinzuschauen wie die Schweden dieses schwierige und in Teilen auch emotionale Thema gelöst haben.
Klimaneutrale Energieversorgung
Die aktuellen Geschehnisse rund um den Russland-Ukraine-Krieg haben es noch einmal sehr deutlich gemacht: Energie ist eine knappe Ressource. Schweden befindet sich im Vergleich zu Deutschland aber in einer sehr guten Ausgangslage. Rund 40 Prozent des Strombedarfs kann stabil über Wasserkraft aus dem Norden des Landes gedeckt werden. Hinzu kommen jeweils rund 20 Prozent über die Kernkraftwerke und die Windenergie. Damit ist Schweden in der Bereitstellung von Strom bereits heute nahezu klimaneutral! Der Ausbau der Windenergie soll insbesondere vor der Küste Schwedens forciert werden. Bis es allerdings so weit ist, dass genügend Strom über die Erneuerbaren Energien kommt, bleiben die verbliebenen sechs Reaktoren (von ursprünglich zwölf) am Netz. Die aktuelle Planung sieht einen Weiterbetrieb bis 2040 vor, im Bedarfsfall aber auch darüber hinaus.
Wettbewerb um das Endlager
Die Entscheidung für den Standort Forsmark im Kreis Östhammar fiel bereits im Jahr 2009. Das Besondere daran: Sowohl die Gemeinde Östhammar als auch Oskarshamn haben sich aktiv darum beworben, dass sie den Zuschlag für den Bau des Endlagers bekommen. Ökonomische Gründe, könnte man meinen, dürften hier den Ausschlag gegeben haben. Dem ist aber nicht so. Beide Gemeinden geht es wirtschaftlich gut, die Arbeitslosigkeit in Östhammar liegt bei zwei Prozent , was gleichbedeutend mit Vollbeschäftigung ist. Hinzu kommt: Beide Gemeinden haben den Betreiber SKB darum gebeten, zwei Milliarden schwedische Kronen (umgerechnet heute rund 200 Millionen Euro) als Kompensation für den Aufwand der Gemeinden bereitzustellen. Davon sollte die Gemeinde, die den Zuschlag nicht erhält, 75 Prozent bekommen. Spieltheoretiker würden hier einen starken Anreiz vermuten, als Zweiter durchs Ziel zu gehen. Nicht so in Schweden. Beide Kommunen haben weiterhin energisch um den Zuschlag gekämpft. Dies alles war so ungewöhnlich, dass selbst der Spiegel hierüber im Jahr 2011 berichtete („Why one Swedish Town Welcomes a Waste Dump“; siehe https://www.spiegel.de/international/europe/the-nuclear-sell-why-one-swedish-town-welcomes-a-waste-dump-a-763081.html).
Beteiligung, Transparenz, Vertrauen, Verantwortung
Auch Deutschland wird in jedem Fall ein Endlager brauchen, um rund 17 Tausend Tonnen Atommüll sicher zu lagern. Der Prozess hierfür wurde neu aufgesetzt, als klar wurde, dass Gorleben aus geologischen Gründen als Endlager nicht geeignet ist. Das Suchverfahren ist in drei Schritte unterteilt. In Phase 1 wurde ergebnisoffen ganz Deutschland darauf hin untersucht, ob die geologischen Bedingungen für ein Endlager ausreichen. Dies ist bei 52 Prozent der Fläche Deutschlands der Fall. In Phase 2 wird überirdisch erkundet, welche Regionen geeignet sind, bevor in Phase 3 unterirdische Bohrungen den Prozess komplettieren. Aufbauend auf diesen Ergebnissen soll ein Standort bis 2030 gefunden werden, so dass ein Endlager ab dem Jahr 2050 zur Verfügung steht.
Schwer vorstellbar ist aus heutiger Sicht, dass am Ende gleich mehrere deutsche Kommunen den Zuschlag wollen, so wie es in Schweden der Fall war. Was aber war so besonders in Schweden, dass es dort funktioniert hat? Der Bürgermeister des Ortes, Jacob Spangenberg, hat es uns erläutert: Da ist zunächst das Gefühl, dass es bei dem Endlager um nationale Verantwortung geht. Das Endlager, so der Bürgermeister, ist das wichtigste Umweltprojekt Schwedens. Seine Gemeinde sei ganz einfach bereit, Verantwortung für das Land zu übernehmen.
Damit diese gefühlte Verantwortung zum Tragen kommen konnte, mussten weitere Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen war die Beteiligung der Gemeinden im Suchprozess wichtig. Dafür wurden finanzielle Mittel von der schwedischen Regierung bereitgestellt, mit denen die Kommunen zum Beispiel Experten einstellen konnten. Damit wurde ein Gespräch auf Augenhöhe zwischen den Gemeinden einerseits und der Bundesebene, der Aufsichtsebene und dem Betreiber anderseits möglich. Hinzu kam der Wunsch nach absoluter Transparenz. Alle Daten und Analysen, die der Regierung oder dem Betreiber zur Verfügung standen, mussten auch der Kommune zur Verfügung stehen. Und schließlich: Die Gemeinde hatte bis zur finalen Entscheidung der Bundesebene im Dezember 2021 jederzeit die Möglichkeit, ihre Bewerbung zurückzuziehen. Auf diese Weise ernst genommen, konnte die Gemeinde Östhammar das Gefühl von Verantwortung in dieser so wichtigen Frage von nationaler Tragweite wahrnehmen.
Beteiligung gut, Vertrauen muss besser werden
Beteiligung ist auch ein Schlüsselkriterium im aktuellen Suchprozess in Deutschland. Bislang konzentriert sich diese Beteiligung auf das Nationale Begleitgremium (NBG), in dem Vertreter vieler Alters- und Interessengruppen ihre Sicht auf den Suchprozess einbringen können, und insbesondere auch auf die sog. "Fachkonferenz Teilgebiete", die als erstes, gesetzlich festgelegtes Beteiligungsformat im Standortauswahlverfahren in 2021 stattfand. Das ist sehr positiv. Genauso wichtig ist aber, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der beteiligten öffentlichen Stellen hoch ist. In Schweden hat man uns immer wieder versichert, dass die Bevölkerung dieses Vertrauen hat. Ob dieses Vertrauen auch in Deutschland vorhanden ist, mag jeder selbst beurteilen. Sehr freundlich formuliert ist es aus meiner Sicht aber keineswegs förderlich, wenn das Bundeswirtschaftsministerium unter der Führung von Robert Habeck und das Umweltministerium unter der Führung von Steffi Lemke einen Prüfbericht zu einem möglichen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke in Deutschland innerhalb weniger Tage erstellen, und die Bundesministerin zudem bereits einen Tag nach Ankündigung des Prüfvermerks das Ergebnis „kennt“. Mehr Sorgfalt wäre in vielerlei Hinsicht angebracht gewesen, wie wir heute nach Analyse des Prüfvermerks wissen. Es bleibt zu hoffen, dass die Suche nach dem Endlager weniger ideologisch geführt wird.
Pragmatismus hilft
Natürlich ist auch in Schweden nicht alles eitel Sonnenschein. Heftig diskutiert wird nach wie vor über die Frage, in welchen Containern der Atommüll gelagert werden soll. In Schweden sind dies Kupferkapseln mit einer Wandstärke von fünf Zentimetern, die dann im Granit mit einem Beton-Lehm-Gemisch verfüllt werden. Uneinigkeit besteht zwischen den Umweltverbänden und der Regierung beziehungsweise der Aufsicht darüber, wie korrosionsanfällig diese Behälter sind. Hier sollen weitere Langfristanalysen Aufschlüsse bringen.
Bei alledem war jedoch eines besonders bemerkenswert: Bei allen Gesprächen hatte ich das Gefühl, dass die Fragen von Kernenergie und Atommüll von Pragmatismus und einer großen Portion Gelassenheit geprägt sind –eine Unaufgeregtheit, die ich mir für die Herausforderungen der kommenden Jahre auch in Deutschland wünschen würde.