Dr. Klaus Wiener MdB
Mitglied des Deutschen Bundestages

Terre des Femmes - Positionierung

Terre des Femmes hat mich zum Thema Prostitution, Ausstiegshilfen und Perspektiven befragt

Die dramatische Situation durch das Prostitutionsgewerbe und für Menschen in der Prostitution geraten immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit. Einstige Ziele und Bestrebungen, die Prostitution durch legale Strukturen sicherer zu gestalten und die Rechte von Prostituierten zu stärken wurden verfehlt. Es ist heute mehr denn je sichtbar, dass sich Menschen in der Prostitution in Notlagen befinden, betroffen von Perspektivlosigkeit, Armut und Zwang, den völlig legal agierenden Zuhältern und Freiern vollkommen ausgeliefert. Deutschland hat sich bekanntermaßen zum „Bordell Europas“ entwickelt und ist heute Dreh- und Angelpunkt für Menschenhandel (siehe „Schattenbericht zum Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“

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 Obwohl die Ausbeutung von Prostituierten in Deutschland einen Höhepunkt erreicht hat und das Elend von Betroffenen nicht mehr zu übersehen ist, findet die Thematik in der Politik weiterhin wenig Gehör und die aktuelle Gesetzeslage wird häufig unkritisch und ohne jede Reflexion im O-Ton der Prostitutionslobby als „Schutz für Betroffene“ dargestellt. Gleichzeitig erkennen immer mehr Länder in Europa Prostitution als Gewalt gegen (meist) Frauen an und haben bereits entschieden, nach dem Vorbild des Nordischen Modells dem Gewaltsystem Prostitution und den Ausbeutern darin einen Riegel vorzuschieben.

Das Nordische Modell beinhaltet die Bestrafung aller Profiteure und Ausbeuter, während Betroffene entkriminalisiert und entstigmatisiert werden sowie Hilfen erhalten. 

 Unsere Frage an Sie ist daher: Haben Sie die Bereitschaft, sich für Betroffene auszusprechen und die Einführung des Nordischen Modells zu fordern, welches die Profiteure bestraft und Betroffenen Ausstiegshilfen und Perspektiven bietet? 

MEINE ANTWORT:

Mit dem Prostitutionsschutzgesetz besteht ein klarstellendes Regularium für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Das Gesetz sieht vor, dass Prostituierte durch das Erbringen der vereinbarten sexuellen Dienstleistung einen Anspruch auf die vereinbarte Gegenleistung erwerben. Prostituierte können auf der Grundlage des Prostitutionsgesetzes ihre Tätigkeit auch im Rahmen sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse ausüben. Das Weisungsrecht des Arbeitgebers beziehungsweise der Arbeitgeberin ist jedoch eingeschränkt. Prostituierte können jederzeit bestimmte Kunden oder bestimmte Sexualpraktiken ablehnen oder ganz aus der Prostitution aussteigen.

Mit dem von der CDU/CSU-Fraktion eingebrachten Reformgesetz wurden die Arbeitsbedingungen sowie die Möglichkeiten zur sozialen Absicherung weiter präzisiert. Allerdings blieben die Möglichkeiten für einen Ausstieg aus der Prostitution weitgehend unscharf. Daher haben sich im vergangenen Jahr bereits etliche Mandatsträger der CDU (darunter der ehem. Gesundheitsminister Gröhe und Staatsministerin Widmann-Mauz) dafür stark gemacht, konkrete Ausstiegshilfen nach dem schwedischen (nordischen) Modell zu ermöglichen. Dem schließe ich mich ausdrücklich an.

Entgegen einem weit verbreiteten Klischee sind die meisten Prostituierten keinesfalls freiwillig in der Prostitution, sondern wurden und werden getäuscht, erpresst und bedroht. Das Ausmaß an sexuellen Übergriffen, an massiven physischen und psychischen Verletzungen durch täglichen, oftmals erzwungenen Kundenkontakt ist vielen möglicherweise nicht bekannt. Wie Freier denken und handeln, die ihr vermeintlich erkauftes Recht auch gegen erkennbaren Widerwillen und Ekel durchsetzen und die Frauen demütigen, lässt sich in Freierforen nachlesen, in denen Freier die Ware Frau und ihre Dienstleistung „bewerten“. Die scheinbare Normalität von Sexkauf zeigt sich u.a. daran, dass z. B. Junggesellenabschiede im Bordell keine Seltenheit mehr sind. Eine Entschließung des Europäischen Parlaments fordert Deutschland bereits dringend dazu auf, die geltende gesetzliche Regelung zu revidieren.

Vieles spricht für die Einführung des Nordischen Modells, mit dem erstmals in Schweden der Sexkauf unter Strafe gestellt wurde. Für Freier und Zuhälter sind damit Geld- oder - je nach schwere des Falls - Freiheitsstrafen verbunden, während die Prostituierten nicht kriminalisiert werden. Diesem Modell sind bereits Frankreich, Norwegen, Island und Irland gefolgt. In etlichen weiteren Ländern gibt es Bestrebungen, diesem Model zu folgen. Die Annahme des geltenden Prostituiertenschutzgesetzes, Prostitution sei ein normaler Beruf, ist schon jetzt durch die Praxis widerlegt. Nicht zuletzt hat sich im Zusammenhang mit der Schließung der Bordelle im Rahmen der Corona-Lockdowns bestätigt, dass viele Frauen offenbar keine unabhängige, private Existenz mit Wohnung, Anmeldung, Sozialversicherung etc. haben. Viele sind nach der Schließung in ihre Heimatländer zurück verbracht worden, andere sind in den Bordellen verblieben. Nur ca. 33.000 von geschätzt bis zu 400.000 sind mittlerweile registriert; keine 100 davon sind als Angestellte sozialversichert. Leider erfolgen viel zu wenige Kontrollen des Zolls auf Schwarzarbeit bzw. Scheinselbständigkeit, Einhaltung des Mindestlohns etc. Oftmals weiß keine Behörde, dass diese Frauen in Deutschland sind. Sie sind ihren Zuhältern völlig ausgeliefert. Diesen Frauen hilft nur ein Verbot des Sexkaufs und eine Ausbildung/ Tätigkeit in einem existenzsichernden Beruf.

Auch wenn das Nordische Modell Zwangsprostitution nicht verhindern kann, wird der Markt für derartige sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel in Deutschland damit am nachhaltigsten gestört und die Position der Prostituierten gegenüber rücksichtslosen Freiern und Zuhältern gestärkt. Daher unterstütze ich die Forderung nach diesem Modell in Deutschland ausdrücklich.