Rede Lossprechung bei der KHW Mettmann 2022
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Kreishandwerksmeister Thomas Grünendahl, liebe Junggesellen!
Als mein Vater 1950 seine Ausbildung antrat, konnte er an der Wand des Ausbildungsraums folgenden Spruch lesen:
Meister ist, wer was ersann // Geselle ist, wer etwas kann // ein Lehrling ist ein Jedermann.
Als ich gefragt wurde, ob ich heute anlässlich Ihrer Lossprechung ein paar Worte an Sie richten möchte, habe ich sehr gerne zugesagt – und mir kam dann sofort auch dieser Spruch in den Sinn, den mir mein Vater weitergegeben hat.
Sie, liebe Junggesellen, kommen in den Versen auch vor: Geselle ist, wer etwas kann!
Sie haben Ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen. Dazu gratuliere ich Ihnen sehr herzlich! Das ist ein großer Erfolg. Sie sind jetzt (Jung-)Geselle und sie können mit Recht von sich behaupten, dass Sie etwas können. Darauf können Sie stolz sein.
Aber ich verbinde das auch mit einer Warnung – damit die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Sie haben die Ausbildung erfolgreich beendet. Ausgelernt haben Sie aber ganz sicher nicht! Das werden Sie in den kommenden Monaten und Jahren erfahren. Sie werden täglich etwas Neues hinzulernen. Seien Sie dafür offen, und nehmen sie Hinweise und Ratschläge Ihrer Kollegen und Vorgesetzen an. Das bringt sie beruflich weiter. Da bin ich mir sicher.
Meine Damen und Herren, das Thema Bildung – und gerade auch die berufliche Bildung – liegt mir sehr am Herzen. Und das hat viele Gründe:
1) Zum einen, weil ich durch den beruflichen Werdegang meines Vaters geprägt bin. Er durfte (!) nach den Kriegswirren im Jahr 1949 eine Lehre als Dreher machen. Das war damals nicht selbstverständlich. Und später hat er den Meistertitel als Schlosser erworben. In einem Industriebetrieb wurde er später Lehrlingsausbilder, und ist mit 45 Jahren an die Berufsschule gewechselt. Damit das ging, hat er neben der Arbeit einen weiterführenden Schulabschluss nachgeholt. Im Krieg und in den ersten Jahren danach war an geregelte Schulbildung nicht zu denken.
Nach dem Referendariat war er Lehrer für Fachpraxis. Und zum Ende seiner Berufszeit hat er seine Schüler an computergesteuerten Dreh- und Fräsmaschinen unterrichtet. Auch da musste er sich einarbeiten – in eine Programmiersprache, mit knapp 60! Ich habe oft mit meinem Vater über die Bedeutung der beruflichen Bildung gesprochen. Er wusste aus eigenem Erleben, was es heißt, wenn man diese Chance zunächst nicht hat. Und er hat über die Jahre erlebt, wie sich die Anforderungen an einen Beruf verändern. Das wird Ihnen auch so gehen.
Ja, wir lernen ein Leben lang!
2) Die berufliche Bildung ist mir aber auch deshalb so wichtig, weil ich selbst eine berufliche Ausbildung absolviert habe. Ich bin ausgebildeter Energieanlagenelektroniker. Das hat bei uns zu Hause dazu geführt, dass es keine Lampe gibt, die ich nicht selbst installiert hätte. Und die Ausbildung hat mich – im wahrsten Sinne des Wortes – geerdet.
Natürlich meine ich dies im übertragenen Sinne: Die Ausbildung hat mir Fokus und Antrieb gegeben bei all dem, was ich später im Leben gemacht habe.
Hierzu ein Beispiel: Arbeitssitzungen um 8 Uhr finde ich bis heute nicht schlimm. In meiner Ausbildung musste ich um 6 Uhr anfangen, also um 5 Uhr morgens aufstehen!
3) Das Thema berufliche Bildung beschäftigt mich aber bis heute. Sie wissen wahrscheinlich, dass ich seit Herbst letzten Jahres im Bundestag bin. Eine großartige Erfahrung, bei der auch ich jeden Tag etwas Neues hinzulerne.
Im Bundestag ist die Arbeit in Ausschüssen organisiert. Davon gibt es 27 (Finanzen, Haushalt, Wirtschaft, Inneres, Außen, aber auch Sport, Kultur und Tourismus). Sie sehen, es gibt keinen Aspekt unseres gesellschaftlichen Lebens, dem wir uns nicht widmen…
Ich bin in den Ausschüssen Wirtschaft und Umwelt tätig. Hier werden jedem Abgeordneten Themen zugewiesen. Berichterstattungen nennt man das. Im Ausschuss Wirtschaft bin ich unter anderem auch für das Thema „Fachkräftemangel“ zuständig.
Dieser Fachkräftemangel ist für unsere Volkswirtschaft zu einem großen Problem geworden:
o Viele Unternehmen derzeit haben volle Auftragsbücher! Sie können Aufträge aber nicht abarbeiten, geschweige denn neue annehmen, weil Fachkräfte fehlen.
o Wir brauchen dringend mehr Wohnungen! Aber wer soll sie bauen, wenn nicht Maurer, Klempner, Dachdecker, Fliesenleger – oder eben auch Elektriker wie Sie hier?
o Wir wollen die Energiewende voranbringen! Wir müssen den Klimawandel bekämpfen, da gibt es keinen Zweifel. Aber wer soll Häuser energetisch Instand setzen, Solaranlagen installieren und E-Autos warten, wenn nicht Handwerker!?
Es ist offensichtlich: Wir brauchen gut ausgebildete Fachkräfte. Nur haben wir derzeit zu wenige davon!
Ich war Anfang März bei einem Unternehmensbesuch hier in unserem Kreis. Dort werden Schlosser und Elektriker benötigt. Es sind am Markt aber kaum welche zu bekommen. Da dieses Unternehmen international tätig ist, hat man jetzt Fachkräfte aus Belgien und Frankreich angeworben.
Wie konnte es zu dem Fachkräftemangel kommen?
Klar, wir befinden uns in einer Phase demografischen Wandels. Junge Menschen gibt es heute einfach sehr viel weniger als zu meiner Zeit (Babyboomer).
Entscheidend scheint mir aber etwas ganz anderes zu sein: Wir haben uns durch Fehler in der Bildungspolitik in diese Lage manövriert! Jahrzehntelang wurde uns gesagt, dass Deutschland zu wenig Akademiker hat. Insbesondere die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD, ein Zusammenschluss hochentwickelter Länder), hat uns immer wieder einen Spiegel vorgehalten und gesagt, dass wir bei der Ausbildung junger Menschen im internationalen Vergleich schlecht abschneiden.
Verkannt hat man bei diesen Analysen aber völlig, welche Qualität die berufliche Ausbildung in Deutschland hat. Eine Ausbildung, die es so in kaum einem anderen Land gibt. Mit der dualen Ausbildung haben wir ein Alleinstellungsmerkmal! Mehr und mehr erkennt man, wie gut unsere berufliche Ausbildung ist. Nicht umsonst hat sich die amerikanische Regierung vor gar nicht allzu langer Zeit erkundigt, warum das mit der beruflichen Ausbildung bei uns so gut funktioniert.
Inzwischen wird mehr und mehr verstanden, dass ein Studium nicht um jeden Preis glücklich macht. Natürlich brauchen wir auch gut ausgebildete Wissenschaftler. Fakt ist aber auch, dass wir sehr viel weniger Philosophen, Soziologen oder Literaturwissenschaftler brauchen, als Elektriker, Klempner und Schlosser.
Das wird schon daran klar, wenn ich daran denke, wie oft ich einen Klempner zu Hause habe – und wie selten einen Wissenschaftler aus dem Institut für interdisziplinäre Zypern-Studien. [Anmerkung: Das Institut gibt es wirklich!]
Als Bundestagsabgeordneter sehe ich es als meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass dem steigenden Bewusstsein für den Wert der beruflichen Ausbildung und dem Fachkräftemangel auch Taten folgen:
…zum Beispiel bei der finanziellen Gleichstellung zwischen Studium und Ausbildung (Stichwort: Studententicket)
…oder bei der finanziellen Förderung der überbetrieblichen Ausbildung.
Sie haben Ihren Beitrag dazu geleistet, den Fachkräftemangel in Deutschland zu reduzieren. Deshalb meine Bitte: Sprechen Sie darüber, mit Freunden, im Sportverein oder im Club.
Seien Sie Botschafter für Ihren Beruf und sagen Sie anderen jungen Menschen: Wer eine gute berufliche Perspektive sucht, der ist im Handwerk oder in der Industrie sehr gut aufgehoben!
Zum Schluss möchte ich meinen Gedanken vom Anfang noch einmal aufnehmen:
Meister ist, wer was ersann,
Geselle ist, wer etwas kann
Ein Lehrling ist ein Jedermann.
Geselle sind Sie jetzt. Vielleicht haben Sie in ein paar Jahren auch Lust, die nächste Stufe zu erklimmen – und Sie werden Meister. Ich bin mir sicher, die anwesenden Meister hier werden Ihnen sagen, dass sie diesen Schritt nie bereut haben – ganz gleich, ob sie sich später einmal selbständig machen wollen oder auch nicht.
Entscheiden müssen Sie das zum Glück nicht heute. Jetzt geht es erst einmal darum, Erfahrungen als Geselle zu sammeln. Aber bevor sie das tun, wollen wir heute feiern und auf das Erreichte anstoßen. Die nächsten Schritte in Ihrer beruflichen Laufbahn kommen, wenn die Zeit dafür reif ist. Rom wurde ja auch nicht an einem Tag gebaut.
Ich wünsche Ihnen alles Gute – und eine hohe Steuerbelastung. Weil, wenn die hoch ist, verdienen Sie auch ordentlich!
Vielen Dank!