Dr. Klaus Wiener MdB
Mitglied des Deutschen Bundestages

Schulden, Steuererhöhungen, Sparer-Belastungen

Mein Artikel aus der BörsenZeitung, Dez 21
Nach anderthalb Jahren „Corona“ gibt es ungebrochen enorme Risiken für die deutsche wie die weltweite Wirtschaft. Falsche Weichenstellungen jetzt würden den dringend benötigten Neustart nach der Pandemie zusätzlich gefährden. Zu den wesentlichsten gehören höhere Steuern und eine fehlgeleitete – weil zu späte – Normalisierung der Wirtschaftspolitik.     

Wie sich aktuell zeigt, hält sich die schwierige Pandemie-Lage hartnäckig. Trotzdem gibt es berechtigte Hoffnung, dass sich mit wachsender Immunität und angepasster Impfstoffe im kommenden Jahr die Situation verbessert. Für die Politik - und insbesondere die Wirtschaftspolitik - stellt sich damit die Frage, wie in den kommenden Monaten agiert werden sollte. Ich sehe hier drei Handlungsfelder: 

Erstens, der Neustart nach der Pandemie muss aktiv gestaltet werden. Daran ändern auch die aktuellen Prognosen der führenden Wirtschaftsinstitute nichts, die für das kommende Jahr mit Zuwachsraten von zum Teil über fünf Prozent für das reale Bruttoinlandsprodukt einen beachtlichen Aufschwung für Deutschland prognostizieren. Das galt lange auch schon für das laufende Jahr (Stichwort: V-förmige Erholung), ist inzwischen aber einer gewissen Ernüchterung gewichen. Hautgrund für das erneut prognostizierte, starke Anspringen des Wachstums im kommenden Jahr dürften nämlich Nachholeffekte sein, die sich aus der Pandemie ergeben. Haushalte und Unternehmen haben im Zuge der Lockdowns und der Pandemie-bedingten Unsicherheiten Ausgaben zurückgestellt. Diese dürften nach Überwindung der aktuellen Lieferengpässe bei Vorprodukten und Rohstoffen zumindest zum Teil nachgeholt werden, so dass die Wirtschaft – einem Bungee-Sprung gleich – zurückschnellt.

Über das Trendwachstum, das letztlich Aufschluss darüber gibt, wie sich der Wohlstand in einem Land dauerhaft entwickelt, sagen diese Jahreszahlen jedoch nichts aus. Aber genau hier muss jetzt angesetzt werden, denn der Neustart nach der Pandemie wird aus verschiedenen Gründen kein Selbstläufer. Zum einen liegt das daran, dass die Corona-Krise sehr lang war bzw. ist und die damit verbundene Rezession tief ausfiel. Dies hat bei vielen Menschen und Unternehmen zu Existenzängsten geführt. Solche intensiven Erfahrungen lassen aus verhaltensökonomischer Sicht nachhaltige Verhaltensänderungen erwarten. So dürfte zum Beispiel die finanzielle Vorsorge wichtiger werden, sowohl für das Alter als auch für nicht-planbare Phasen ohne Einkommen während des Erwerbslebens. Im Grunde ist eine gestiegene finanzielle Vorsorge angesichts der demografischen Entwicklung sehr positiv. Sie wird die Ausgabenneigung der privaten Haushalte in diesem Fall aber belasten – und damit das Trendwachstum der Volkswirtschaft für die kommenden Jahre.

Aber auch die Unternehmen werden genau überlegen, ob sie ihre Investitionszurückhaltung aufgeben. Schon vor der Pandemie gab es erhebliche Tendenzen zu Protektionismus durch die Staaten. Diese wurden durch die Pandemie verstärkt. Mit dem Argument, dass Lieferketten zusammengebrochen sind – gerade auch bei medizinisch lebenswichtigen Produkten – könnte es zu einem noch stärkeren Nationalismus und wirtschaftlicher Abschottung kommen. Dabei wäre es gerade jetzt wichtig, Lieferketten nicht einseitig zu regionalisieren, sondern global viel stärker zu diversifizieren. Die Voraussetzung hierfür muss die Politik schaffen, etwa indem neue Handelsabkommen geschlossen werden. Mit dem RCEP wurde in Asien jüngst die größte Freihandelszone der Welt geschaffen. Genau solche Anstrengungen sind auch für Europa in den kommenden Jahren essenziell.

Um einer drohenden Kaufzurückhaltung entgegenzuwirken, darf die Ausgabenneigung der privaten Haushalte nicht durch Steuerhöhungen belastet werden. Nun mögen Befürworter höherer Abgaben entgegenhalten, dass nur die Steuern für die „Reichen“ steigen sollen. Die meisten Menschen verstehen aber sehr wohl, dass es dabei in der Regel nicht bleibt. Die mit Abstand meisten Menschen leben und arbeiten bei mittleren Einkommen. Und weil diese Gruppe so groß ist, kommen die Belastungen auch genau hier an. Dies zumindest lehrt die Erfahrung der letzten Jahrzehnte, in denen der Mittelstandsbauch der Steuerprogression stetig gewachsen ist – allen Entlastungsbekundungen zum Trotz. Aber auch für die Unternehmen wären Steuererhöhungen Gift. Deutschland ist bereits Hochsteuerland, sowohl hinsichtlich der Belastung der privaten Einkommen als auch im Hinblick auf die Unternehmenssteuern.

Zweitens: Die Finanzpolitik muss ihren Kurs zügig ändern. Weltweit haben die Regierungen im Zuge der Pandemie fiskalische Impulse in Höhen von mehr als zehn Billionen US-Dollar auf den Weg gebracht. Dies entspricht gut zwölf Prozent des Weltsozialprodukts. Aber so hilfreich und wichtig die finanziellen Hilfen in der Krise waren, so wichtig ist es jetzt, gezielt gegenzusteuern. Für die Finanzpolitik gelten in der Krise die drei „z“. Finanzielle Hilfen müssen zügig gewährt werden – dies war ganz überwiegend der Fall. Sie müssen zielgerichtet sein – dies war angesichts des angestrebten „Wumms“ leider nicht immer der Fall. Vor allem aber müssen sie zeitlich begrenzt sein. Ist die Krise erkennbar vorüber, muss die Politik gegensteuern. Und zwar aus mehreren Gründen. Werden die zusätzlichen Hilfen zu lange gewährt und fallen die Staatsausgaben zu umfangreich aus, droht eine Überhitzung. Bestes Beispiel hierfür sind derzeit die USA, die auf Grund massiver fiskalischer Impulse durch die Biden-Administration in diesem und im nächsten Jahr mit voraussichtlich 6 % bzw. 5 % wachsen werden. Problematisch ist aber auch der stetig steigende Schuldenstand, der die fiskalischen Spielräume für mögliche kommende Krisen begrenzt und zudem die kommenden Generationen über Gebühr belastet. Bereits heute ist die durchschnittliche Schuldenquote der Industrieländer so hoch wie zuletzt unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Und schließlich erkennen die Menschen, dass die Schulden von heute, die Steuern von morgen sind. Etliche verhalten sich entsprechend und schränken ihren Konsum bereits heute ein. Bekannt ist dieses Phänomen unter dem Namen Ricardianische Äquivalenz.

Drittens muss auch die Geldpolitik den Ausstieg aus der ultralockeren Positionierung in Angriff nehmen. Bereits vor der Pandemie haben wesentliche Notenbanken mit sogenannten unorthodoxen Maßnahmen versucht, die Inflation in Richtung der Zielmarken zu bringen. So wie es derzeit aussieht, sind sie sehr erfolgreich. In den USA ist die Verbraucherpreisinflation auf 6,2 % gestiegen, in Deutschland auf 5,2 Prozent; beides 30-Jahres-Hochs! Und auch die Kernraten der Inflation, bei der die volatilen Preise für Energie und Nahrungsmittel herausgerechnet werden, sind zuletzt deutlich gestiegen. Nun streiten sich Notenbänker und Volkswirte, ob dieser Anstieg temporär oder dauerhaft ist. Für die erste These sprechen Sondereffekte wie der Anstieg der Mehrwertsteuer in Deutschland zu Jahresbeginn oder die vermutlich vorübergehenden Lieferkettenprobleme im Zuge des Anspringens der weltweiten Konjunktur, in deren Folge die Preise für viele Vor- und Zwischenprodukte sprunghaft gestiegen sind. Bekanntes Beispiel sind die fehlenden Mikrochips, die aktuell zu Produktionseinbußen im Automobilsektor führen.

Andererseits könnten sich einige der Inflationstreiber aber durchaus auch als dauerhaft erweisen. Dies gilt vor allem für die Energiepreise. Mit dem weltweiten Versuch, den Klimawandels über den CO2-Preis zu bekämpfen, werden fossile Brennstoffe teuer – und die Alternativen relativ knapper. Beides spricht dafür, dass wir vor einer längeren Phase stark steigender Energiepreise stehen könnten – mit entsprechenden Konsequenzen für die Teuerungsraten. Ich erinnere an dieser Stelle an die Worte des früheren Bundesbankpräsidenten Karl- Otto Pöhl, der zu bedenken gab, dass Inflation wie Zahnpasta sei: „Ist sie erst einmal heraus, bekommt man sie kaum mehr rein“. Um Preisstabilität dauerhaft zu gewährleisten, braucht es einen vorausschauenden Ansatz. Angesichts der zig-Milliarden an Notprogrammen, die auch von der Europäischen Zentralbank auf den Weg gebracht wurden und nach wie vor im Wirtschaftssystem schlummern, muss von der Geldpolitik – ähnlich wie von der Finanzpolitik - eine klare Ausstiegstrategie formuliert werden. Dazu gehört ein rasches Ende der massiven Geldinjektionen ebenso, wie die Abschaffung des negativen Einlagenzinses, der die vielen Sparer zusätzlich zur steigenden Inflation belastet.